Das gefesselte Flipchart

Eine Liebeserklärung eines Trainers an die Improvisation

15:00 Uhr – Der frühe Vogel… (Seminarbeginn 16 Uhr)
„Ich bin vorbereitet“, denke ich, während ich mit meinem Materialkoffer in der Hand die Seminartür öffne. Alles ist gebucht, besprochen, der Technik-Check vom Veranstalter bestätigt, sogar Kaffee soll schon bereitstehen. Ich bin – so glaube ich – angekommen in der Welt professioneller Seminare.

15:01 Uhr – Willkommen im Dschungel
Und da steht es. Mein Flipchart. Gefesselt. Umklammert von einem Kabelsalat, der aussieht, als hätte sich eine Horde Gartenzwerge hier nachts eine LAN-Party geliefert. Mein Werkzeug der Klarheit, mein Ausdrucksmittel für alle Lernfreudigen – degradiert zur Kabelrolle der „Haustechnik“.

15:02 Uhr – Der erste Schweißtropfen
Ich beginne zu entwirren. HDMI-Kabel, Verlängerungskabel, Stromleisten – es ist ein technisches Jenga-Spiel. Jeder Zug ein Risiko. Wenn ich Pech habe, starte ich damit das Nachbarseminar neu oder schalte im ganzen Viertel das Licht aus.

15:15 Uhr – Der Tanz beginnt
Flipchart befreit. Aber der Raum? Leer. Kein Stift, keine Moderationskarten. Der Beamer steht auf einem Stuhl, als wäre er in der Pause eines Improtheater-Stücks. Ich beginne zu sammeln, zu ordnen, zu richten – ein Ritual, das jeder Trainer kennt: Der Raum wird mein Raum.

Flipchart gefesselt

Vorbereitung ist nicht gleich Sicherheit

Auch wenn alles mit dem Veranstalter durchgesprochen wurde – sei früher da. Mindestens 60 Minuten vorher. Warum? Weil sich die Realität selten für Pläne interessiert. Die Realität liebt Improvisation, sie flirtet mit Chaos. Außerdem kannst Du die Stimmung des Raumes erfassen und Dich in dem Raum auf den Kurs einstimmen. Dadurch wirken evtl. spätere Störungen nicht mehr so stark.

Die Checkliste des erfahrenen Trainers:

  • Erwarte nichts, finde alles: Bring deine eigenen Stifte, Papier, Verlängerungskabel – kurz: dein Survival-Kit.
  • Der Raum ist dein Co-Trainer: Räume um. Schaffe Atmosphäre.
  • Freundlichkeit siegt: Die Haustechnik ist oft überfordert – sei freundlich, biete Kaffee an. Sie retten dir vielleicht später den Tag.
  • Offenheit: Dinge die nicht zu ändern sind, bespreche mit den Teilnehmenden.
  • Dekoration rettet Stimmung: Bring ein Stoffbanner, eine Pflanze oder Kerze mit. Manchmal reicht schon ein Kissen gegen das „Betonwand-Gefühl“. Eine gut gestaltete Mitte des Raums bewirkt Wunder.

Was alles passieren kann:

  • Das Flipchart steht im Lager, das aber seit drei Tagen abgeschlossen ist – und der Schlüssel liegt im Urlaub.
  • Im Kurs vorher wurden alle Blätter vom Flipchart verbraucht, das Whiteboard sieht sehr bunt aus mit vielen Zeichungen.
  • Der Beamer projiziert – aber nur rosa.
  • Die Tür zum Seminarraum quietscht wie ein schlechter Hitchcock-Film – bei jedem Toilettengang.
  • Immer wieder kommen Teilnehmer aus anderen Kursen herein, weil sie sich verlaufen haben oder in ihrer Einladung eine falsche Raumnummer steht.
  • Es sind zu wenig Stühle da, dafür aber acht Yogamatten und ein riesiger Sitzball.
  • Material fehlt (Papier, Stifte, Kaffee, …)
  • Das WLAN funktioniert nur, wenn du den Laptop in eine bestimmte Ecke des Raumes stellst – leider kann da kein Teilnehmender was erkennen.

Fazit: Trainer sein heißt, zu führen – auch durch Chaos

Ein guter Trainer bringt nicht nur Wissen mit. Er bringt Ruhe, Präsenz, Humor – und ein bisschen Werkzeug. Ein gefesseltes Flipchart ist kein Problem. Es ist eine Einladung zur Improvisation. Ein Startpunkt für eine Story. Für deine Story.

Denn was wäre ein Seminar ohne eine kleine Heldengeschichte am Anfang?

Wenn Du auch solche Geschichten hast, so schreibe sie doch gerne in die Kommentare.

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